Social Media und Online-Shopping verschmelzen immer stärker - genau hier setzt Social Commerce an. Doch was genau bedeutet dieser Begriff? Einfach ausgedrückt beschreibt Social Commerce den Kauf von Produkten direkt über soziale Medien (What is e-commerce? | McKinsey). Damit sind nicht länger klassische Online-Shops oder Marktplätze allein für das Shopping zuständig, sondern Plattformen wie TikTok, Instagram & Co. selbst werden zu Einkaufszentren. Kunden können Produkte entdecken, sich informieren und den Kaufabschluss tätigen - ohne die App zu verlassen. Social Commerce ist somit ein Teilbereich des E-Commerce, aber mit einem wesentlichen Unterschied: Das Einkaufserlebnis findet im sozialen Netzwerk statt, eingebettet in Feeds, Stories oder Livestreams, statt auf einer separaten Website.
Social Commerce vs. klassischer E-Commerce: Während beim herkömmlichen E-Commerce Konsumenten meist eine Website oder App eines Händlers besuchen, oft über eine Suche bei Google oder Amazon, spielt sich Social Commerce direkt in der Social-Media-Umgebung ab. Der gesamte Prozess - von der Inspiration über die Produktrecherche bis zum "Jetzt kaufen"-Klick - wird nahtlos in Facebook, Instagram, TikTok & Co. integriert. Das macht den Einkauf sofortiger und oft impulsiver: Man sieht ein Produkt im Vorbeiscrollen, hört vielleicht eine Empfehlung eines Influencers und kann direkt zugreifen. Gerade jüngere Nutzer schätzen diese Bequemlichkeit. Laut einer aktuellen Studie beginnen 43% der Gen Z ihre Produktsuche bereits auf TikTok statt über klassische Suchmaschinen. Social Commerce "trifft die Kunden dort, wo sie sind" - nämlich auf ihren bevorzugten sozialen Plattformen.
Diese Entwicklung ist kein kurzlebiger Trend. Social Commerce boomt weltweit und verändert nachhaltig die Art und Weise, wie wir shoppen. In China etwa, wo Social Commerce früher als im Westen Fahrt aufnahm, wurden bereits 2021 Waren im Wert von rund $352 Milliarden über Social Apps gekauft - das entsprach 13% des gesamten E-Commerce-Volumens. In den USA hinkte man lange hinterher, doch holt rasant auf: Schätzungen beziffern den US-Social-Commerce-Markt 2023 bereits auf fast $90 Milliarden. Weltweit wird prognostiziert, dass Social Commerce bis 2025 mehr als $2 Billionen Umsatz erzielen wird. Anders gesagt: Ein immer größerer Teil des Online-Shoppings verlagert sich in die sozialen Medien.
Aber was bedeutet das konkret? Schauen wir uns an, wie TikTok, Instagram und andere Plattformen das Einkaufserlebnis revolutionieren, welche Erfolgsfaktoren im Social Commerce entscheidend sind, wo Praxisbeispiele aus B2C und B2B zeigen, was möglich ist - und welche Herausforderungen noch gemeistert werden müssen.
TikTok, Instagram und Co.: Wenn Social-Media-Plattformen zu Einkaufsmalls werden
Social Commerce wäre nicht möglich ohne die neuen Shopping-Funktionen der sozialen Netzwerke. Besonders TikTok und Instagram treiben diese Entwicklung voran, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Doch sie sind nicht allein: Auch Facebook, Pinterest, YouTube, Snapchat und sogar LinkedIn experimentieren mit Commerce-Features. Was tut sich auf den wichtigsten Plattformen?
TikTok: Entertainment trifft Einkaufsbühne
TikTok hat sich vom reinen Unterhaltungs-Hub zur echten Shopping-Plattform gewandelt. Das Format aus kurzweiligen Videos und viralen Trends eignet sich perfekt, um Produkte quasi „im Vorbeigehen“ zu entdecken. Hashtags wie #TikTokMadeMeBuyIt sind legendär und stehen stellvertretend für den Einfluss, den TikTok auf Kaufentscheidungen hat: Nutzer teilen Produkte, die sie dank TikTok entdeckt (und gekauft) haben, was einen viralen Kreislauf in Gang setzt (TikTok Shop and social commerce trends for 2025: We ask the experts). Diese Community-getriebene Dynamik erzeugt eine Art digitalem "Schaufensterbummel", bei dem man sich von den Empfehlungen und Live-Demos anderer inspirieren lässt.
Seit 2021 treibt TikTok seinen Einstieg in den E-Commerce aggressiv voran. Damals startete die Plattform erste Shopping-Partnerschaften (u.a. mit Shopify) und integrierte In-App-Shops (What is Social Commerce? Trends and Key Insights for 2025 - Shopify). Im Herbst 2023 erfolgte der große Rollout von TikTok Shop in den USA. Die Ergebnisse sind eindrucksvoll: Bereits am Black Friday 2024 erzielte TikTok Shop in den USA einen Tagesumsatz von über $100 Millionen - drei Mal so viel wie ein Jahr zuvor. An diesem Tag sahen amerikanische Nutzer über 30.000 TikTok-Livestreams, in denen Produkte verkauft wurden; ein einzelner Creator generierte in einer einzigen Livesession unglaubliche $2 Millionen Umsatz. Diese Zahlen zeigen, wie TikTok das Shopping-Erlebnis neu definiert: Einkaufen wird zum viralen Event.
Ein großes Erfolgsrezept von TikTok ist das Live Shopping. Hier werden Live-Streams zur modernen Variante von Verkaufssendungen à la QVC, nur interaktiver und mit direkter Beteiligung der Community. Für manchen ist es bereits "QVC auf Steroiden". Agenturen und Unternehmen investieren in professionelle Live-Event-Studios, um den TikTok-Nutzern rund um die Uhr solche Einkaufsshows zu bieten. Die Kombination aus Entertainment und sofortiger Kauffunktion entfaltet eine enorme Sogwirkung - insbesondere bei jüngeren Zielgruppen, die Live-Streaming als unterhaltsam empfinden.
TikTok liefert somit den Proof-of-Concept, dass Social Commerce auch im Westen zündet. Die Plattform orientiert sich stark am chinesischen Vorbild Douyin (dem Schwesternetzwerk von TikTok in China), das bereits hunderte Milliarden Umsatz pro Jahr über Influencer-Livestreams einfährt. Um dieses Erfolgsmodell zu adaptieren, hat TikTok in den letzten Jahren massiv investiert: Es wurden Fulfillment-Zentren aufgebaut, Partnerschaften mit Brands und Agenturen geschlossen und sogar Programme gestartet, die Creator mit Herstellern zusammenbringen, um eigene Produktlinien zu lancieren. Das Ergebnis: TikTok verwandelt sich immer mehr in eine alles umfassende Commerce-Plattform, wo Content und Kaufen nahtlos verschmelzen.
Allerdings geht TikTok auch ein Risiko ein: Die gesamte Social-Commerce-Strategie könnte ins Wanken geraten, sollte die Plattform - wie in den USA diskutiert - aufgrund regulatorischer Bedenken verboten werden. Gerade für kleine Unternehmen, die sich auf TikTok Shop verlassen, wäre ein plötzliches Aus ein Desaster, wie die Aufregung um mögliche TikTok-Verbote Anfang 2025 zeigte. Dennoch: Stand jetzt ist TikTok einer der dynamischsten Treiber des Social Commerce.
Instagram: Von der Inspiration zum Kauf mit einem Tipp
Instagram galt lange als das Paradies für Produktinspirationen. Kein Wunder - die Plattform ist visuell geprägt, mode- und lifestyleaffin. Mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung über 13 Jahren nutzt Instagram, und seit einigen Jahren können diese Nutzer direkt dort shoppen: via Instagram Shopping. Unternehmen richten Schaufenster in ihren Profilen ein, Posts können mit Produkt-Tags versehen werden, und über den Explore-Tab konnten Nutzer früher in einem dedizierten Shop-Bereich stöbern.
Besonders Influencer Marketing blüht auf Instagram: Influencer präsentieren Outfits, Gadgets oder Einrichtungstipps in ihren Stories und Reels und versehen sie mit direkten Kauflinks. So wird der Feed zum digitalen Katalog, kuratiert von Personen, denen man folgt und vertraut. Das Ergebnis: Der Weg vom Inspirieren lassen zum Impulskauf ist extrem kurz. Kein Copy-Paste von Rabattcodes oder Wechsel zur Shop-App mehr nötig - stattdessen reicht ein Tippen auf das Bild und schon liegen die Sneaker im Warenkorb.
Allerdings hat Instagram seine Shopping-Strategie zuletzt neu justiert. Nachdem man stark in Shop-Features investiert hatte, ruderte Meta Anfang 2023 etwas zurück und entfernte den dedizierten Shop-Tab aus der Hauptnavigation. Stattdessen setzt Instagram nun darauf, Shopping stärker „hinter den Kulissen“ über Kooperationen zu integrieren - zum Beispiel über Partnerschaften mit Amazon, um Instagram-Posts direkt mit Amazon-Produktseiten zu verknüpfen. Dies zeigt: Nicht jede Plattform geht den Social-Commerce-Weg in gleicher Geschwindigkeit. Instagram will sein Nutzererlebnis nicht überfrachten und testet aus, wie viel Shop-Integration von den Usern überhaupt angenommen wird.
Dennoch bleibt Instagram ein zentraler Baustein im Social Commerce. Gerade in Kombination mit Facebook (beide Plattformen gehören zu Meta) bietet sich Händlern ein breites Publikum. Facebook selbst ermöglicht seit längerem In-App-Shops für Seiten und hat mit Facebook Marketplace auch einen populären Marktplatz für C2C-Geschäfte. In den USA kauften 2023 schätzungsweise rund 65 Millionen Menschen über Facebook ein - kein Wunder, dass viele Brands Facebook als Sprungbrett für ihren Social-Commerce-Einstieg nutzen.
Weitere Plattformen: Pinterest, YouTube, LinkedIn & Co.
Neben den Big Two (TikTok und Instagram) dürfen wir andere Netzwerke nicht vergessen, die ebenfalls das Einkaufserlebnis verändern:
- Pinterest: Die digitale Pinnwand ist quasi prädestiniert für Social Commerce. Nutzer nutzen Pinterest, um neue Produkte und Ideen zu entdecken - vom Wohnaccessoire bis zum Rezept. Monatlich sind über 465 Millionen Menschen weltweit auf Pinterest aktiv. Bemerkenswert: 97% der Suchanfragen auf Pinterest sind unbezahlt bzw. markenunabhängig. Das bedeutet, Nutzer sind sehr offen für neue Marken und Produkte. Pinterest hat schon früh auf Shoppable Pins gesetzt: Händler können ihren Produktkatalog hochladen, damit Nutzer Items, die sie auf Bildern sehen, direkt kaufen können. Besonders im Bereich Mode, Deko und DIY zeigt Pinterest, wie Social Commerce „organisch“ wirken kann - als Teil einer kreativen Inspirationsreise.
- YouTube: Als Video-Plattform rückt YouTube stärker nach, was Shop-Features angeht. Produktplatzierungen in Videos sind längst gang und gäbe, aber jetzt experimentiert YouTube mit direkten Kauf-Buttons neben Videos und der Integration von Shopify für Creator-Merch-Stores. Live-Streams auf YouTube (z.B. Technik-Reviews oder Shopping-Events) können mit Echtzeit-Kauflinks ausgestattet werden, um das Gesehene direkt in einen Kauf umzusetzen.
- Snapchat: Snapchat setzt auf AR-Shopping. Die App ermöglicht es Nutzern z.B. per Augmented Reality virtuelle Anproben zu machen (Make-up testen, Schuhe virtuell anprobieren etc.). Marken wie Gucci oder MAC nutzen Snapchats AR Lenses für innovative Try-Before-You-Buy-Erlebnisse. So wird Social Commerce hier spielerisch umgesetzt.
- LinkedIn: Im B2B-Kontext darf LinkedIn nicht vergessen werden. Zwar kauft niemand Softwarelizenzen über einen „Kaufen“-Button in einem LinkedIn-Post, aber das Konzept des Social Selling ist gerade in B2B essentiell. Vertriebsmitarbeiter nutzen LinkedIn gezielt, um Beziehungen zu pflegen und mit wertvollen Inhalten Vertrauen aufzubauen. Tatsächlich generiert LinkedIn sage und schreibe 80% aller B2B-Social-Media-Leads. Das zeigt: Die Kaufanbahnung findet auch im B2B immer häufiger über soziale Netzwerke statt, selbst wenn der Abschluss dann „klassisch“ per Vertrag erfolgt.
Zwischenfazit: Ob kurzweiliges TikTok-Video, stylisher Instagram-Post oder inspirierender Pinterest-Pin – Social-Media-Plattformen entwickeln sich zu echten Vertriebskanälen. Sie bringen Produkte dorthin, wo sich die Menschen ohnehin aufhalten. Der virtuelle Schaufensterbummel wird allgegenwärtig. Doch was macht Social Commerce wirklich erfolgreich? Schauen wir uns die zentralen Erfolgsfaktoren an.
Erfolgsfaktoren: Was Social Commerce zum Erfolg macht
Neue Features allein reichen nicht - damit Social Commerce funktioniert, müssen einige Erfolgsfaktoren zusammenspielen. Im Kern geht es um Vertrauen, Authentizität und ein nahtloses Nutzererlebnis. Hier die wichtigsten Zutaten, damit der Verkauf über TikTok, Instagram und Co. floriert:
Authentische Influencer und Community-Aufbau
Influencer sind die Verkäufer und Berater des Social-Commerce-Zeitalters. Doch es kommt auf die richtigen Influencer an. Nischen- und Mikro-Influencer gewinnen zunehmend an Bedeutung. Warum? Sie haben zwar weniger Follower als Mega-Stars, genießen in ihren speziellen Communities aber höchstes Vertrauen. Ihre Empfehlungen wirken glaubwürdig und nicht wie plumpe Werbung. Eine aktuelle Studie zeigt: 63% der Konsumenten kaufen eher ein Produkt, wenn es ihnen von einem vertrauten Social-Media-Influencer empfohlen wird. Mit anderen Worten: Authentizität schlägt Reichweite.
Für Marken bedeutet das, die passenden Creator für ihre Zielgruppe zu finden und langfristige Beziehungen zu ihnen aufzubauen. Erfolgreiche Social-Commerce-Strategien setzen oft auf Creator-Partnerschaften, bei denen Influencer in die Produktentwicklung einbezogen werden oder exklusive Kooperationen eingehen. So wurde aus dem Beauty-Label e.l.f. (eyes lips face) ein Social-Media-Liebling: Durch virale Kampagnen mit kreativen Challenges und der Einbindung zahlreicher kleinerer Creator baute e.l.f. eine enorme Markenbindung bei jungen Käufern auf. Das Unternehmen setzt voll auf Social Media als Marketing-Kanal und punktet mit authentischem Storytelling statt Hochglanzwerbung.
Community-Building geht Hand in Hand damit: Erfolgreiche Social-Commerce-Brands pflegen ihre Community, antworten auf Kommentare, greifen User-Generated Content auf und lassen Kunden zu Botschaftern werden. Wenn sich Kunden ernst genommen fühlen, steigen Engagement und letztlich auch die Verkaufszahlen. Die Creator Economy bietet hier völlig neue Chancen: Immer mehr (Mikro-)Creator verdienen ihren Lebensunterhalt damit, Inhalte für Marken zu erstellen, die gleichzeitig unterhalten und verkaufen. Sie fungieren als verlängerter Arm der Marketingabteilung, aber auf Augenhöhe mit der Community.
Nahtloses Einkaufserlebnis & neue Formate
Ein weiterer Erfolgsfaktor ist das reibungslose Nutzererlebnis. Social-Media-User haben wenig Geduld für komplizierte Kaufprozesse. Jeder Klick, der aus der App herausführt oder lange Formulare, die ausgefüllt werden müssen, bedeuten Abbruchgefahr. Die Lösung: In-App-Checkout und technisch sauber integrierte Shop-Systeme. Eine Deloitte-Studie fand heraus, dass 72% der Konsumenten bereit sind, direkt in Social Apps zu kaufen, wenn es ihnen die Plattform denn einfach macht (Social Commerce and the Creator Economy: How Brands Can Engage Creators To Activate Their Social Commerce Strategy | Deloitte US). Viele wollen sogar mehr Möglichkeiten, Produkte innerhalb sozialer Medien zu entdecken und sofort zu erwerben. Die Nachfrage ist also da - entscheidend ist, jegliche Reibungspunkte im Prozess zu beseitigen.
Live Shopping und Video-Formate spielen hier eine große Rolle, denn sie verbinden Unterhaltung und Kauf fließend miteinander. In China ist Live-Commerce schon längst Mainstream; im Westen steckt es noch in den Kinderschuhen, aber 2024 war ein Wendepunkt. Wichtig ist, die Live-Streams spannend und interaktiv zu gestalten, damit Nutzer gerne zuschauen und aus dem Zuschauen ein Mitmachen wird. Kommentarfunktionen, Live-Votings oder exklusive Live-Rabatte können den Spieltrieb wecken. Das FOMO-Prinzip (Fear of Missing Out) funktioniert auch hier: Wenn ein Produkt nur im Live-Stream zum Special-Preis verfügbar ist, steigt der Kaufanreiz.
Zudem kommen innovative Technologien ins Spiel: Augmented Reality (AR) etwa macht Social-Commerce-Erlebnisse noch greifbarer. Nutzer können per AR-Filter Möbel virtuell im eigenen Wohnzimmer platzieren oder Make-up-Filter testen, bevor sie kaufen. So lässt sich das Vertrauen in das Produkt erhöhen, weil man es quasi „anprobiert“ hat, ohne es physisch vor sich zu haben. Snapchat hat hier mit AR-Shopping Pionierarbeit geleistet, aber auch Instagram bietet AR-Filter für Brands an.
Vertrauen und Social Proof
Bei allem Spaß und aller Spontanität: Vertrauen bleibt die Währung im Social Commerce. Nutzer müssen darauf vertrauen können, dass Anbieter seriös sind, die Produkte halten, was sie versprechen, und die Zahlung sicher abgewickelt wird. Hier haben soziale Medien anfangs einen Vertrauensbonus verspielt, denn lange galten Facebook & Co. eher als Fundgrube für Produktideen, aber gekauft hat man dann doch lieber auf der offiziellen Website des Shops (Consumers report low trust in social commerce).
Eine Umfrage von Ipsos ergab etwa, dass 76% der befragten US-Konsumenten zwar auf sozialen Plattformen nach Inspiration suchen, den Kauf am Ende aber lieber auf der Website des Händlers abschließen. Hauptgrund dafür: Sicherheitsbedenken. Mehr als die Hälfte der Nutzer traut den sozialen Plattformen (noch) nicht vollends in puncto Datensicherheit und Datenschutz. Außerdem sind viele skeptisch, ob die Anbieter auf Instagram oder TikTok wirklich seriös sind oder eventuell Fake-Shops dahinterstecken.
Umso wichtiger ist es für Unternehmen, Vertrauen gezielt aufzubauen. Trust Signals können beispielsweise sein:
- Echte Bewertungen und Kundenrezensionen sichtbar zu machen (z.B. in Live-Streams oder Produktposts).
- Güte- und Sicherheitssiegel auch in Social-Media-Shops zu platzieren (etwa eine Verifizierung durch die Plattform).
- Einen kulanten Rückgabeprozess und transparenten Kundenservice zu kommunizieren.
- Mit bekannten Köpfen oder Marken zu kooperieren, die für Seriosität stehen.
Die gute Nachricht: Die Bereitschaft, direkt in Social Apps zu kaufen, nimmt zu, je mehr positive Erfahrungen die Nutzer sammeln. Sobald eine kritische Masse an Leuten im Freundeskreis „Social Shopping“ ausprobiert und für gut befunden hat, sinkt die Zurückhaltung. Erste positive Signale sind erkennbar: Laut Deloitte haben 60% der Konsumenten richtig Lust darauf, noch mehr Produkte direkt auf Social Media entdecken und kaufen zu können. Damit dieses Potenzial voll ausgeschöpft werden kann, müssen Händler und Plattformen gemeinsam daran arbeiten, ein vertrauenswürdiges Umfeld zu schaffen.
Praxisbeispiele: Social Commerce in B2C und B2B
Wie sieht Social Commerce in der Realität aus? Hier einige Beispiele, die zeigen, wie Unternehmen - von großen Brands bis zu kleinen Startups, B2C wie B2B - Social Commerce erfolgreich nutzen:
B2C-Highlights: Von Beauty bis Fashion
- e.l.f. Cosmetics: Die US-Kosmetikmarke hat früh auf TikTok und Instagram gesetzt und gilt als Vorreiter in der Creator Economy. Mit viralen Challenges (z.B. dem Hashtag #eyeslipsface auf TikTok) und engem Einbinden von Influencern erzielte e.l.f. enorme Reichweiten. Die Kampagnen waren so erfolgreich, dass e.l.f. zeitweise Produkte restlos ausverkaufte, weil die Nachfrage durch TikTok-Videos explodierte. Hier zahlt sich authentisches Content-Marketing voll aus.
- Zara auf TikTok Shop: Der Mode-Riese Zara war einer der ersten großen Bekleidungsmarken, der in Europa TikTok Shop nutzte. Auf TikTok zeigt Zara kuratierte Kollektionen für Damen, Herren und Kinder, wobei die Videos im UGC-Stil (User Generated Content) gehalten sind - also bewusst lässiger und näher am TikTok-typischen Style, statt wie klassische Hochglanz-Werbung. Das kommt an: Nutzer können die gezeigten Outfits direkt aus der App heraus shoppen. TikTok unterstützt solche Bemühungen sogar mit einem eigenen Logistik-Service („Fulfilled by TikTok“) in manchen Regionen, um den Händlern den Versand zu erleichtern. Zara zeigt, dass selbst etablierte Retailer sich auf neue Plattformen einlassen, um am Zahn der Zeit zu bleiben.
- Wayfair: Der Möbel-Onlinehändler Wayfair wagte sich 2023/24 auf Neuland und veranstaltete Live-Shopping-Events auf Instagram und TikTok. Mit Hilfe einer Agentur wurden 12 passende Influencer als Hosts ausgewählt, die in Live-Streams Wohnideen präsentierten und Produkte vorführten. Durch geschickte Inszenierung (von Sale-Aktionen bis zu Koch-Sessions in einer schön eingerichteten Küche) und Vorab-Promotion erzielten diese Live-Events über 185.000 Live-Views und mehr als 30 Millionen Interaktionen. Wayfair konnte damit seine Markenbekanntheit steigern und direkt Abverkauf generieren – ein Best-Practice-Beispiel, wie man als eher klassischer Händler Social Commerce kreativ nutzen kann.
- Charlotte Tilbury: Die britische Beauty-Marke (benannt nach der prominenten Visagistin) nutzte als eine der ersten Live-Shopping auf Instagram. Charlotte Tilbury führte neue Produkte per Livestream ein, oft moderiert von Charlotte selbst oder bekannten Make-up-Artists, und band dabei die Community mit ein. Die Atmosphäre erinnerte an klassische TV-Shows für Beauty, nur eben interaktiv. Das Resultat: Der Live-Event wird zum Verkaufs-Event, und die Kunden verbinden damit ein echtes Erlebnis, was die Bindung an die Marke stärkt.
- Candy Kittens: Eine Süßwarenmarke aus UK, die zeigt, dass auch „unspektakuläre“ Branchen Social Commerce rocken können. Candy Kittens brach 2024 den TikTok-Shop-Rekord in der Kategorie Lebensmittel, als sie bei ihrer allerersten Live-Stream-Verkaufsshow auf TikTok sofort riesige Umsätze erzielten. Hier zahlte sich aus, dass die Marke bereits eine starke TikTok-Community aufgebaut hatte und genau verstand, wie man diese in ein Live-Event bringt.
Diese Beispiele verdeutlichen: Egal ob Beauty, Fashion, Home & Living oder Food - mit der richtigen Strategie kann Social Commerce in nahezu jeder B2C-Branche funktionieren. Wichtig ist, den Content ans Medium anzupassen (Stichwort: UGC-Stil und Authentizität) und die Community einzubeziehen.
B2B-Beispiele: Social Selling und digitale Beziehungen
Auch im Business-to-Business-Bereich spielt Social Media eine immer größere Rolle in der Customer Journey. Zwar sieht Social Commerce hier anders aus (es kauft niemand eine Industrieware über einen Instagram-Post), doch ähnliche Prinzipien gelten:
- LinkedIn Social Selling: Unternehmen wie SAP, IBM oder Microsoft schulen ihre Vertriebsteams inzwischen intensiv in Social Selling. Das bedeutet, Vertriebsmitarbeiter nutzen LinkedIn, um durch Fachartikel, Branchen-Insider-Tipps oder persönliche Einblicke bei potenziellen Kunden präsent zu sein und Vertrauen aufzubauen. Dieser Einsatz zahlt sich aus: Social Seller übertreffen 78% häufiger ihre Kollegen im Vertrieb, die keine sozialen Medien nutzen. Außerdem informieren sich 63% der Entscheider über Social Media über neue Anbieter, bevor sie Kaufentscheidungen treffen. Das zeigt, wie wichtig ein professioneller Auftritt und echte Interaktion auf Plattformen wie LinkedIn ist, um B2B-Kunden zu gewinnen.
- B2B-Influencer und Expertennetzwerke: Einige Unternehmen bauen gezielt Experten-Communities in sozialen Netzwerken auf. Zum Beispiel lädt ein Softwareunternehmen seine Kunden in eine exklusive LinkedIn-Gruppe ein, wo Use Cases und Tipps geteilt werden. Oder es werden Branchen-Influencer (etwa Tech-Blogger, Consultants) gewonnen, die als Fürsprecher für die B2B-Lösung auftreten. Solche Third-Party-Testimonials - also Empfehlungen durch unabhängige Experten – sind im B2B Gold wert und lassen sich über Social Media gut verbreiten.
- Webinare & Live-Demos: Ein weiteres Übertragsformat des Social Commerce ins B2B sind Live-Online-Events, die über soziale Kanäle beworben und teilweise auch dort ausgestrahlt werden. Beispielsweise könnte ein Maschinenbauer einen YouTube-Livestream schalten, in dem eine neue Maschine vorgeführt wird, inklusive Live-Fragerunde. Die Leads aus solchen Events werden dann vom Vertrieb weiterbearbeitet. Hier verschwimmt die Grenze zwischen klassischem Content Marketing und Social Commerce: Der Content (das Webinar) dient letztlich dem Verkauf, und Social-Media-Plattformen sind die Distributionskanäle dafür.
Fazit der Beispiele: Während Social Commerce im B2C oft direkt transaktional ist (Produkt sehen, anklicken, kaufen), liegt der Fokus im B2B eher auf Beziehungsaufbau und Lead-Generierung über Social Media. Doch in beiden Fällen gilt: Wer Social-Plattformen strategisch nutzt, kann seinen Vertrieb enorm bereichern.
Herausforderungen und Kritikpunkte: Vertrauen, Abhängigkeit, Datenschutz
Bei aller Euphorie für Social Commerce müssen auch die Schattenseiten und Herausforderungen beleuchtet werden. Drei Themen stehen besonders im Fokus:
Vertrauensaufbau braucht Zeit
Wie bereits angesprochen, ist Vertrauen der Dreh- und Angelpunkt. Viele Konsumenten begegnen dem direkten Kauf via Social Media noch mit Skepsis. Negative Erfahrungen - etwa mit Produktqualität, Lieferschwierigkeiten oder gar Betrug durch Fake-Shops - bekommen in sozialen Netzwerken zudem schnell große Aufmerksamkeit, was potenzielle Käufer abschrecken kann. Unternehmen müssen hier aktiv entgegenwirken, indem sie transparent und kundenorientiert agieren. Dazu gehört, dass sie auf Beschwerden oder kritische Kommentare öffentlich eingehen, Probleme kulant lösen und so zeigen: Ihr könnt uns vertrauen. Plattformen wie TikTok und Instagram arbeiten derweil an sicheren Bezahlmethoden, Käuferschutzprogrammen und Shop-Zertifizierungen, um das generelle Vertrauen in In-App-Käufe zu erhöhen.
Abhängigkeit von Plattformen und Algorithmen
Ein nicht zu unterschätzendes Risiko für Händler ist die große Abhängigkeit von den Plattformen. Wer z.B. seinen Hauptumsatz über TikTok Shop generiert, ist dem Schicksal von TikTok stark ausgeliefert. Wird die App plötzlich verbannt (siehe Diskussionen in den USA) oder ändert der Algorithmus seine Logik, kann das Geschäft über Nacht einbrechen. Außerdem bewegen sich Unternehmen hier im „Garten eines anderen“: Die Plattformen können Regeln ändern, Gebühren einführen oder Features einstellen (siehe das Zurückfahren des Instagram-Shop-Tabs). Daher sollten Brands Social Commerce nie isoliert, sondern als Teil einer Multikanal-Strategie sehen. Ideal ist es, Social-Media-Präsenz zu nutzen, um Kundenbeziehungen aufzubauen und die Kunden dann auch für eigene Kanäle (Newsletter, Webseite, eigene App) zu begeistern - für den Fall der Fälle.
Datenschutz und Datenhoheit
Schließlich ist da noch das Thema Datenschutz. Social-Media-Plattformen sind datengetriebene Werbeunternehmen. Wenn jetzt auch noch der Kaufprozess dort stattfindet, sammeln sie noch detailliertere Daten über das Kaufverhalten der Nutzer. Das kann einerseits für bessere Personalisierung genutzt werden, birgt aber Datenschutzrisiken. Nutzer fragen sich: Wer sieht meine Einkaufsdaten? Werden meine Kaufhistorie und mein Social Graph zusammengeführt, um mir Werbung zu zeigen? Gerade in Europa mit strengen Datenschutzgesetzen (Stichwort DSGVO) schauen Regulierer genau hin, wie Social Commerce umgesetzt wird. Für Unternehmen ergibt sich außerdem die Frage der Datenhoheit: Wenn der Verkauf über Instagram läuft, liegen die Kundendaten zunächst bei Meta. Die Händler bekommen zwar Zugriff darauf, sind aber abhängig von den Schnittstellen, die die Plattform anbietet. Nicht jeder Shopbetreiber möchte seine Daten gern in den Händen von TikTok oder Meta wissen.
Kritik von Verbraucherschützern richtet sich zudem gegen den potenziellen Kaufdruck und die Verschmelzung von Werbung und Content. Wenn Influencer subtil Produkte in ihren Alltag einbauen, könnten vor allem jüngere Nutzer die Werbeabsicht dahinter nicht immer klar erkennen. Hier sind Transparenz (Kennzeichnung von Werbung) und mediale Aufklärung wichtig, um keine Vertrauenskrise heraufzubeschwören.
Ausblick: Wohin entwickelt sich Social Commerce?
Social Commerce steckt trotz allem erst am Anfang - und die kommenden Jahre versprechen spannende Entwicklungen. Ein paar Trends, die sich bereits abzeichnen:
- Weiteres Plattform-Wachstum: TikTok wird seine Shopping-Funktionen global ausrollen (sofern keine regulatorischen Riegel vorgeschoben werden) und auch Instagram dürfte nachjustieren, um im Wettbewerb nicht zurückzufallen. Möglicherweise werden wir auch auf YouTube, Pinterest und Twitter (X) verstärkt Commerce-Integrationen sehen. Sogar Messaging-Apps wie WhatsApp oder Facebook Messenger könnten mehr Shopping-Funktionen direkt im Chat anbieten, was vor allem für kleine Geschäfte attraktiv ist.
- Neue Formate und noch mehr Live-Erlebnisse: Live Shopping wird in westlichen Märkten voraussichtlich deutlich zunehmen. Influencer-Live-Events, Produktdrops im Livestream oder regelrechte virtuelle Shopping-Festivals könnten bald zum Alltag gehören. Ebenso könnten Gruppeneinkäufe (Group Buying) à la Pinduoduo – wo Freunde gemeinsam Deals nutzen - ihren Weg in unsere Gefilde finden, was den sozialen Aspekt des Einkaufens weiter stärkt.
- Technologie: AR, VR und KI: Die Integration von Augmented Reality wird sich weiter verbessern. In ein paar Jahren könnten AR-Anproben für Kleidung oder die virtuelle Besichtigung von Produkten überall Standard sein, während man durch den Social Feed scrollt. Auch Virtual Reality könnte Nischen finden – etwa virtuelle Shopping Malls oder Showrooms, in denen man sich mit dem Avatar bewegt. Zudem wird künstliche Intelligenz (KI) eine größere Rolle spielen: Sei es durch smarte Chatbots, die in Social Apps Beratung bieten, oder durch KI-gestützte Personalisierung, die jedem Nutzer genau die Produkte im Feed zeigt, die zu seinem Profil passen.
- Verschmelzung von online und offline: Der Handel der Zukunft denkt Social Commerce und stationären Handel gemeinsam. So könnte es gängig werden, dass man im Laden per QR-Code einen Artikel über die Social-App des Händlers teilt oder dort bevorratet, um ihn später online zu kaufen (oder umgekehrt). Die Grenzen verschwimmen weiter. Beispiele dafür sieht man in Asien schon längst, wo Super-Apps wie WeChat Shopping, Bezahlen, Kommunikation und In-Store-Erlebnis verbinden. Solche Konzepte könnten auch hier Schule machen.
- Regulierung und Verantwortung: Mit dem Wachstum kommt auch mehr Verantwortung. Wir dürfen erwarten, dass Gesetzgeber genau hinschauen werden, wie transparent Social Commerce läuft, ob Jugendschutz eingehalten wird und wie mit Daten umgegangen wird. Plattformen werden ihren Nutzern wahrscheinlich auch mehr Kontrolle geben müssen - etwa Optionen, personalisierte Shopping-Inhalte einzuschränken oder Kauf-Historien zu verwalten.
Social Commerce wird in den nächsten Jahren unsere Einkaufsgewohnheiten weiter umkrempeln. Für Verbraucher bedeutet das mehr Bequemlichkeit und neue Formen des Stöberns und Entdeckens. Für Unternehmen - ob B2C oder B2B - bedeutet es die Chance, näher am Kunden zu sein als je zuvor, aber auch die Herausforderung, sich permanent an wandelnde Plattformen und Vorlieben anzupassen. Wer heute damit beginnt, Social Commerce strategisch in sein Geschäftsmodell zu integrieren, könnte morgen zu den Gewinnern gehören.
Eines ist in jedem Fall klar: TikTok, Instagram & Co. haben das Einkaufserlebnis bereits jetzt revolutioniert – und diese Revolution hat gerade erst begonnen.